11KM: der tagesschau-Podcast: "Gruppe Reuß": Wie gefährlich waren die Reichsbürger?
Wie Reichsbürger in Bundeswehr-Kasernen spionierten – eine akribische Spurensuche.
11KM: der tagesschau-Podcast
39 min read1916 min audioDer Recherche-Podcast 11KM begleitet den Investigativjournalist Martin Kaul beim Aufspüren des „militärischen Arms“ der Gruppe Reus. Er berichtet, wie Ex-Bundeswehrsoldat Rüdiger von Pescature und der KSK-Logistiker Andreas Meyer offenbar mehrere Bundeswehr-Kasernen besichtigten, dabei angeblich ohne nennenswerte Kontrollen Zugang fanden und Material für einen geplanten Umsturz sammelten. Vertrauliche MAD-Protokolle zitieren ein Telefonat, in dem die Männer über das „Kinderspiel“ staunen, „ohne Ausweis“ hereinzukommen. Die Bundesregierung antwortet auf Nachfragen nur vage: Vorkommnisse lägen nicht „konkret“ vor, man habe „Sensibilisierungsgespräche“ geführt. Bei Hausdurchsuchungen stießen Fahnder auf eine geladene Makarov, gefälschte Dienstkennzeichen („M-Stab“) und Briefvorlagen für eine „neue deutsche Armee“. Auf einem Zettel notierte Meyer konkrete Namen von KSK-Soldaten und 12 CH-53-Hubschrauber-Einsätze. Die Betroffenen distanzieren sich; das Verteidigungsministerium erklärt, keine systematischen Sicherheitslücken erkannt zu haben.
### 1. Terrorverdächtige sollen unbehelligt Kasernen betreten haben
Die Recherchen lassen vermuten, dass Pescature und Meyer 2022 mindestens fünf militärische Liegenschaften besuchten – darunter Standorte des Transporthubschrauber-Regiments 30 in Niederstetten und des KSK in Calw. Ein MAD-Fahrtenbuch zitiert ein Telefonat: „Vor alle Dinge, du kommst überall rein, gell? … ohne Ausweis … das ist ja mittlerweile normal." Das Bundesverteidigungsministerium bezeichnet Nachfragen dazu als „hypothetisch“ und verweigere laut Kaul „konkrete“ Auskünfte.
### 2. Gefundene Belege: Waffe, falsche Kennzeichen, „Tankbriefe“
Bei der Razzia im Dezember 2022 fand man in Meyers Gästezimmer eine laut Bundesanwaltschaft „geladene Makarov-Pistole“, die zu den 1990ern als verschwunden gemeldeten Beständen unter Pescatures Verantwortung zählt. Weitere Funde: selbstgeprägte Nummernschilder („M-Stab 1“), vorformulierte Briefe an Tankwarte („neue deutsche Armee“), ein Organigramm für 286 „Heimatschutzkompanien“ sowie eine Deutschlandkarte mit eingezeichneten Routen zu Munitionsdepots.
### 3. Liste mit aktiven KSK-Soldaten aufgetaucht
Auf einem Zettel stand: „12 x CH53 … 12 G4-Trups werden aus Calw zusammengestellt“, gefolgt von konkreten Namen. Laut Kaul arbeiten „teilweise heute noch“ einige dieser Soldaten beim KSK. Der von ihnen befragte Mann sagte, Meyer habe „Kontakt gesucht“, er selbst habe „Abstand“ gehalten. Offizielle Stellen wollten sich zu dem Umfang interner Prüfungen nicht äußern.
### 4. Politiker fordern Konsequen – Ministerium sieht keine erhöhte Gefahr
CDU-Verteidigungsexperte Thomas Röwekamp spricht von „latenter Bedrohung von innen“ und „erheblichem“ Sicherheitsrisiko für Militärinfrastruktur. Grünen-Abgeordnete Sarah Nani berichtet, Beobachtungen würden von Kasernenpersonal „lapidar abgewunken“. Das Ministerium antwortet, es gebe „keine erhöhte Sicherheitslage“, man habe „Sensibilisierungsgespräche“ geführt – personelle oder organisatorische Änderungen nennt Kaul nicht.
### 5. Strategische Rolle des „Irrationalismus“
Kaul zitiert den Rechtspublizisten Jürgen Elsässer: „Wenn es uns gelingt, den Irrationalismus zu entfalten … dann haben wir Aufstand, dann haben wir Revolution.“ Diese bewusste Stärkung von Verwirrung sei Teil eines „politischen Programms“ und werde von außen – etwa durch russische Desinformation – befeuert.
## Einordnung
Die Episode zeigt investigative Recherchearbeit auf höchstem Niveau: akribische Auswertung von Geheimdienst- und Gerichtsakten, Ortstermine, Interviewführung mit Betroffenen und parlamentarischen Kontrollgremien. Die Machart besticht durch stringenten Erzählfluss, klare Quellenangaben („wir haben … gesehen“, „laut MAD-Protokoll“) und pointierte Gegensätze zwischen belastbaren Indizien und den ausweichenden Antworten der Behörden. Dabei gelingt es Kaul, rechte Umsturzphantasien nicht als harmlose Spinner-Szenarien zu verharmlosen, sondern als realen Gefahrenfall für die innere Sicherheit darzustellen – ohne die Unschuldsvermutung der Angeklagten auszuhebeln. Besonders wirksam: die Kontrastierung konkreter Funde (Waffen, gefälschte Papiere) mit dem Nonchalanz-Bonus der Ministerialbürokratie („hypothetische Fragestellung“). Kritisch bleibt, dass weder das Ministerium noch die Bundeswehr eigene systemische Lehren öffentlich machen; die Diskussion über externe Sicherheitsfirmen versus militärische Kontrolle bleibt ein Politiker-Zitat, ohne dass Kaul die wirtschaftlichen Interessen oder strukturelle Unterfinanzierung weiter hinterfragt. Insgesamt liefert der Beitrag eine beunruhigende Bestandsaufnahme: Sicherheitslücken scheinen nicht nur technischer Natur, sondern auch in einer politischen Kultur der Verdrängung zu liegen.
Hörempfehlung: Unbedingt anhören – eine aufwühlende, hervorragend recherchierte Geschichte über rechte Netzwerke in der Bundeswehr und das Versagen der Aufsicht.